Das Praxis-Test-Team

Letzte Änderung: 10/2023

Nicht alle Teilnehmenden in einem Praxis-Test-Team brauchen die gleichen Kenntnisse. Oft wird zum Beispiel die Assistenz weniger Kenntnisse mitbringen und von erfahreneren Mitgliedern des Teams angeleitet werden. Wichtig ist hier eine sorgfältige und vertrauensvolle Kommunikation zwischen Prüfenden, Assistenz und Qualitätssicherung.

Voraussetzungen für Praxis-Prüfende

Vieles kann durch Selbststudium, passende Schulungsangebote und nicht zuletzt in der Prüfpraxis erlernt werden. Eine gute Grundlage sind Fähigkeiten als Web-Entwickler, Frontend-Entwickler oder UX-Experte.

Grundlegend wichtig sind eine Reihe von Eigenschaften:

Motivation

Für Menschen mit Behinderung, die selbst oft von Barrieren betroffen sind, ist die Motivation oft klar: Sie wollen durch Tests und Beratung die Zugänglichkeit von Angeboten verbessern. Wichtig ist aber auch ein grundsätzliches Interesse an den technischen Grundlagen der Barrierefreiheit.

Gute Kenntnis der Barrierefreiheits-Anforderungen

Praxis-Test-Prüfende sollten sich mit den Barrierefreiheits-Anforderungen vertraut gemacht haben. Sie können eigene Erfahrungen von Barrieren in der Nutzung den technischen Anforderungen in den Standards zuordnen. Wenn eine Seite keinen Titel oder ein Bedienelement keine Rolle hat, die vom Hilfsmittel ausgegeben wird, dann wissen sie, dass es dazu eine passende Anforderung gibt. Sie kennen auch Anforderungen, die für sie selbst auf Grund ihrer Behinderung keine Rolle spielen, zum Beispiel weil sie vollblind sind Kontraste oder die Vergrößerung betreffend.

Praxis-Test-Prüfende müssen auch unterscheiden lernen zwischen Standard-Anforderungen (also dem, was für Konformität zwingend notwendig ist) und darüber hinausgehenden Anforderungen, die wünschenswert, aber nicht zwingend sind. Oft sind dies Usability-Aspekte, die als Hinweise Prüfbererichte wesentlich bereichern.

Gute Kenntnisse in der Nutzung der technischen Umgebung

Praxis-Test-Prüfende brauchen eine gute Kenntnis der zugrunde liegenden Plattform – bei Apps das Betriebssystem und seine Bedienungshilfen, bei Web-Angeboten der Benutzer-Agent (Browser). Sie wissen auch, wie sie für die Inspektion des Quelltextes die Entwickler-Werkzeuge oder Werkzeuge für automatische Checks aufrufen können. Für blinde Nutzende sind diese allerdings oft nicht gut zugänglich bzw. nur mühsam zu nutzen.

Gute Kenntnisse der Hilfsmittel

Wenn die Praxis-Test-Prüfende ein Hilfsmittel wie einen Screenreader, eine Vergrößerungssoftware oder eine eingebaute systemseitige Vergrößerung oder eine Sprachsteuerung benutzen, sollen sie dessen Grundfunktionen und erweiterten Funktionen kennen. Dazu gehört bei Screenreadern etwa der Wechsel zwischen Lese- und Formularmodus, die Tabellennavigation, die Nutzung von Kurzbefehlen für die Bereichsnavigation und der Aufruf von Navigationslisten für Links oder Überschriften. Bei den umfangreichen Einstellungsmöglichkeiten mancher Hilfsmittel ist aber nicht zu erwarten, dass sie alle Möglichkeiten kennen.

Praxis-Test-Prüfende können neben dem selbst üblicherweise genutzten Hilfsmittel auch andere Hilfsmittel einsetzen, zum Beispiel um zu prüfen, wie breit eine bestimmte Umsetzung technisch unterstützt wird.

Teamfähigkeit, Fehlertoleranz, Offenheit fürs Dazulernen

Wichtig für Praxis-Test-Prüfende ist die Eigenschaft, sich mit anderen im Team, wie mit Assistierenden oder der Qualitätssicherung, sachbezogen, offen und vertrauensvoll auseinander setzen zu können.

Die technische Umgebung von Browser und Betriebssystemen, die technischen Standards, die Barrierefreiheits-Anforderungen und die Hilfsmitteltechnologien ändern sich laufend. Praxis-Test-Prüfende müssen deshalb ständig dazulernen.

Es ist klar, dass es immer Wissenslücken, Irrtümer, Fehler geben wird, bei einem selbst und bei anderen im Team. Praxis-Test-Prüfende sollten in der Lage sein, dies als ganz normale Arbeitsbedingung zu akzeptieren und mit den unvermeidlichen Fehlern und Irrtümern kollegial und produktiv umzugehen. Sie sollten ein klares Interesse zeigen, über neue Entwicklungen auf dem Laufenden zu bleiben. Auch ausreichend Zeit für diese ständige Weiterbildung muss dafür als Teil der Tätigkeit eingeräumt werden.

Kompetenz in der Beschreibung der Mängel

Praxis-Test-Prüfende sollten in der Lage sein (bzw. lernen), Mängel eindeutig zu identifizieren, verständlich zu beschreiben und sinnvolle Umsetzungsempfehlungen zu geben.

  • Welches Element oder Widget, welcher Abschnitt der Seite oder Ansicht ist betroffen?
  • Welcher Mangel liegt genau vor?
  • Unter welchen Bedingungen tritt der Mangel auf (z. B. nach welcher Interaktion, in welchem Prozess-Schritt)?
  • Wie kann der Mangel behoben werden (oft hat dies Hinweis-Charakter, da verschiedene Lösungen denkbar sind)?
  • Welche Praxisbeispiele sind empfehlenswert (oft ist dies ein Link zu einem Umsetzungs-Beispiel)?

Was sind Voraussetzungen für die Assistenz?

Blinde Praxis-Test-Prüfende sind auf eine enge Zusammenarbeit mit einer sehenden Assistenz angewiesen. Je höher die Eigenkompetenz der Assistenz, desto geringer sind die Reibungsverluste.

Technische Grundkenntnisse

Die Assistierenden in Praxis-Tests sollten nach Möglichkeit mit der technischen Umgebung, mit Browsern und mit HTML und Webtechnologie schon vertraut sein und Grundkenntnisse im Bereich Barrierefreiheit besitzen. Je geringer die Kenntnisse der Assistenz, desto höher der Zeitbedarf beim Prüfen. Bei geringen Kenntnissen ist es auch wahrscheinlicher, dass Fehler auftreten, die dann im Schritt einer abschließenden Qualitätssicherung erfasst und korrigiert werden müssten.

Dennoch gibt es hier keine festen Regeln. Viel hängt an der Motivation und der Lernfähigkeit der Assistierenden, der Geduld der Prüfenden und dem Gelingen eines flüssigen und produktiven Austausches.

Begrifflichkeiten

Die Assistierenden müssen verstehen, was gemeint ist, wenn sie Fragen oder Anweisungen von blinden Prüfenden umsetzen. Sie müssen verstehen, wie ein Screenreader im Prinzip funktioniert, was "Fokussieren" und "Aktivieren" bedeutet, was eine Navigation, ein Ausklappbereich, ein Dialog, ein Breadcrumb oder ein Seitenpfad sind. Es gibt eine ganze Menge an Begriffen und Konzepten, die Assistierende noch vor jeder inhaltlichen Prüfung im Team, oft im Gespräch mit den Prüfenden, erlernen müssen.

Kommunikation

Grundlegend wichtig ist Sachorientierung und gegenseitiges Vertrauen zwischen Prüfendem und Assistenz. Die Assistierenden brauchen die Fähigkeit, beim Testen wahrgenommene Abläufe und Aspekte des Prüfgegenstandes verständlich zu beschreiben. Dazu gehören die Begriffe mit gemeinsamem Verständnis, aber auch Geduld und Präzision, Nachfragen und Vergewisserung. Assistierende wissen oder erlernen, dass manche Aspekte des Gegenstands für blinde oder sehbehinderte Prüfende nicht zugänglich sind, und deshalb beschrieben werden müssen. Es ist klar, dass sich eine effiziente Praxis des gemeinsamen Bezugs auf den Prüfgegenstand erst mit der Zeit beim gemeinsamen Testen einspielt.

Umgang mit der technischen Umgebung der Prüfung

Seit die Pandemie das entfernte Arbeiten fester etabliert hat, finden viele Prüfungen nicht an einem Ort, sondern im entfernten Arbeiten statt. Eine Plattform, die Videokonferenz und das Teilen angeschlossener Bildschirme bietet, ist dabei meist die technische Arbeitsumgebung. Die Assistenz muss lernen, diese Umgebung sinnvoll einzusetzen, Meetings aufzusetzen, den Bildschirm zu teilen, Chatfunktionen oder das Aufzeichnen von Sessions zu nutzen.

Blinde Prüfende teilen in der Regel ihren Bildschirm, der Screenreader-Fokus ist darauf für die Assistenz sichtbar. Auch die Sprachausgabe des Screenreaders kann geteilt werden.

Wie wird der Praxis-Test erlernt?

Gegenseitiges Lernen im Team

Nicht immer muss ein Praxis-Prüfender zu Beginn schon alle Anforderungen kennen und über große technische Kompetenz verfügen. Die Praxisprüfung im Team ist ein Vehikel, während der Prüfung selbst das Prüfen schrittweise zu erlernen. Es ist klar, dass Prüfende mit weniger Erfahrung häufiger Fehler machen. Deshalb ist es wichtig, dass im Team Prüfende mit viel Erfahrung dabei sind, die Rückmeldungen geben können aus denen weniger erfahrene Prüfende dann lernen können. So kann ein kontinuierlicher Lernprozess zwischen Qualitätssicherung, Prüfenden und Assistenz etabliert werden.

Auch für ein valides Ergebnis ist es natürlich wichtig, dass die Ergebnisse durch erfahrene Prüfende bzw. die Qualitätssicherung überprüft, korrigiert und ergänzt werden.

Es ist wichtig zu wissen, dass bei geringeren Kenntnissen häufiger Fehler geschehen werden, zum Beispiel:

  • Barrieren werden übersehen
  • bestimmte Aspekte werden fälschlich als Mangel eingestuft
  • Barrieren werden falsch zugeordnet

Kompetente Team-Mitglieder finden

Mindestens ein Teammitglied sollte gute Kompetenzen im Bereich Barrierefreiheit mitbringen oder vor Beginn der Teamarbeit aufbauen. Ein Hintergrund im Bereich Entwicklung (HTML/CSS/Javascript bei Web-Angeboten) ist dabei hilfreich.

Wenn es um die Suche nach kompetenten Teammitgliedern geht, können folgende Kenntnisse oder Qualifikationen als Beleg dienen:

Neben technischen Kenntnissen ist aber vor allem die Fähigkeit wichtig, sich im Team konstruktiv einzubringen, Wissen zu vermitteln, Fragen zu beantworten und sich mit Umsetzungen detailliert auseinanderzusetzen. Eine absolvierte Zertifizierung über die Multiple-Choice-Tests bei der IAAP sagt allein wenig darüber aus, ob Menschen teamfähig und in der Lage sind, komplexe Umsetzungen bei Web-Angeboten und Apps zu bewerten und hilfreiche Empfehlungen zu geben.

Selbst-Lernen

Neben den einschlägigen Kursen können sich Menschen auch selbst in das Feld Barrierefreiheit einarbeiten. Es gibt eine große Anzahl web-basierter Ressourcen, etwa die MDN Web Docs. Viele Ressourcen zur Barrierefreiheit sind englischsprachig.

Die Prüfschritte von BIK BITV-Test (Web) und der BIK BITV-Test (App) sind kostenlos öffentlich zugänglich und bieten detaillierte Informationen über den Sinn jeder Anforderung und über die Prüfung selbst.

Viele Fragen tauchen allerdings erst dann auf, wenn diese Verfahren tatsächlich zur Prüfung von Angeboten zum Einsatz kommen. Die BIK BITV-Selbstbewertung ist ein kostenloses Werkzeug, um auf diese Fragen zu stoßen und sie zu bearbeiten. Die WebAim-Mailingliste ist eine wichtige Quelle, um von Expertinnen und Experten Antworten auf offene Fragen zu erhalten.

Team-Prozesse entwickeln

Zentral wichtig für die erfolgreiche Arbeit im Praxis-Test-Team ist der offene Austausch zwischen den Teammitgliedern. Hierfür gibt es sicher keine Patentrezepte, und der Austausch wird häufig von der bestehenden Praxis in der Organisation, die ein Praxis-Test-Team aufbaut, mitgeprägt sein.

Ein Werkzeug für den asynchronen Austausch über den Prüfgegenstand, wie es im BIK BITV-Test genutzt wird, ist dafür sicher hilfreich.

Die weiteren Rubriken des Leitfadens zeigen die Schritte, die in der Regel von einer Anfrage bis zur Übermittlung eines Testergebnisses durchlaufen werden, und die oft Absprachen mit anderen Mitgliedern des Teams erfordern.