Remote-App-Tests mit Screenreader-Nutzenden

Letzte Änderung 11/2021

Um die optimale Nutzung einer mobilen Anwendung (App) sicherzustellen, werden immer häufiger Usability-Tests gemacht. Auch hier wollen wir die Einbindung von Testpersonen mit Behinderungen unterstützen, im ersten Schritt von blinden Nutzenden. Und da unser Schwerpunkt derzeit auf Remote-Tests liegt – also auf Tests, bei denen sich Testperson und Testleitung online treffen – haben wir mit einem blinden Tester App-Tests in unserem Online-Konferenzsystem Zoom erprobt.

Online-Tests haben – wie wir in unserem kürzlich veröffentlichten Artikel Tipps für Online-Tests mit Menschen mit Behinderungen (zum Online-Testen von Websites an Desktop-Geräten/Laptops) gezeigt haben – große Vorteile, allen voran die örtliche Flexibilität. Wäre also prima, wenn das auch mit Mobilgeräten geht - dazu zwei kurze Infos vorab:

Wie nutzen blinde Menschen Smartphones?

Blinde Menschen nutzen den integrierten Screenreader ihres Smartphones: bei iOS-Geräten ist das VoiceOver, bei Android-Geräten TalkBack. Alle blinden Testpersonen unseres externen Teams nutzen mobil ein iOS-Gerät, meist ein iPhone. Damit bilden sie keine Ausnahme: Dass die überwiegende Mehrheit der blinden und seheingeschränkten Menschen auf iOS-Geräte und damit VoiceOver setzt, bestätigt auch der aktuelle WebAim-Survey: Mobile Screen Readers (englischsprachig, 2019). Trotzdem haben wir uns das Online-Testen in beiden Betriebssystemen angesehen.

Ließen sich Apps und mobile Webseiten unkompliziert online testen?

Die Erprobung zeigte, dass das Remote-Testen mit mobilen Endgeräten technisch nicht ganz selbsterklärend ist: Zwar war in der Online-Konferenz das Teilen des Mobiltelefon-Bildschirms möglich, Schwierigkeiten machte jedoch die Übertragung der Audioausgabe des Screenreaders. Im Ergebnis können wir zwei Testvarianten empfehlen:

  • Eine probable Hilfslösungen ohne zusätzliches Equipment und
  • eine perfekte Lösung, für die man sich mit zusätzlichen Adaptern, Kabeln und einem HDMI-Aufnahmegerät (Capture Device) ausstatten muss.

Zusätzlich haben wir noch weitere technische Möglichkeiten ausprobiert, in der Praxis aber festgestellt, dass sie nicht sicher funktionieren.

Hier kommt unsere Zusammenfassung:

iOS: Online testen mit iPhone

Wir haben in Zoom verschiedene Szenarien mit einem iPhone 12 Pro und einem Windows-Laptop erprobt und können folgende Erkenntnisse zusammenfassen:

Leider störanfällig: Bildschirm-Übertragung über AirPlay

Wenn sich unsere blinde Testperson über sein Windows-Laptop in der Zoom-Konferenz anmeldete, bot ihm Zoom bei „Bildschirm teilen“ unter anderem die Option iPhone/iPad an (sein iPhone war im selben Netzwerk).

Screenshot: Dialogfenster, das sich einblendet, wenn man in Zoom den Bildschirm teilt. Neben verschiedenen Desktop-Anwendungen kann man auch eine Kachel mit iPhone/iPad auswählen.

Beim ersten Mal musste er sich ein Plugin herunterladen und den Zugriff auf dem Mobiltelefon bestätigen (im Kontrollzentrum unter Bildschirmsynchronisierung, dazu die Zoom-Hilfe: Screensharing via AirPlay, englischsprachig). Im ersten Moment funktionierte die Bildschirmübertragung mit Sprachübertragung zwar, im Laufe des etwa 30-minütigen App-Tests aber, war die Sprachübertragung enorm störanfällig: Entweder war VoiceOver gar nicht mehr zu hören oder es kam zu sehr langen Verzögerungen. Die Durchführung des moderierten App-Tests war so praktisch unmöglich.

Unser Rat: Wer mit einem MacBook arbeitet hat die Möglichkeit, sein iPhone über das Lightning-Kabel zu teilen. Mehr dazu unter Zoom-Hilfe: Screensharing via cable, englischsprachig.

Probable Hilfslösung: Über die iPhone-Zoom-App ins Meeting

Alternativ – und das ist auch die Variante, die derzeit von internationalen Fachleuten, die Online-Tests mit Nutzenden assistiver Technologie durchführen, empfohlen wird – gingen wir über das iPhone ins Zoom-Meeting und ließen das Audio nicht zu (man wird beim Betreten des Raumes gefragt, ob man das Audio freigeben möchte und antwortet nein). Als unser Tester auf dem iPhone seinen Bildschirm teilte, wurde zwar die Ansicht, aber kein Ton übertragen. Dieser kam aber – wenn er VoiceOver einigermaßen laut stellte und das Mobiltelefon vor sich hielt – über sein Headset-Mikrofon gut bei den zugeschalteten Teilnehmenden an.

In Eigenregie testen: Screen-Videos mit dem iPhone

Es ist möglich, den Bildschirm des iPhones aufzunehmen und dabei den VoiceOver-Ton und das eigene gesprochene Wort mitzuschneiden. Dazu im Kontrollzentrum die Bildschirmaufnahme starten und unten „Mikrofon Ein“ drücken (dann werden Stimme und VoiceOver aufgenommen). Nun konnte eine App getestet werden und der Tester konnte seine Rückmeldungen formulieren. Um die Bildschirmaufnahme zu beenden, musste er zurück ins Kontrollzentrum und denselben Button „Bildschirmaufnahme“ erneut drücken. Er wurde gefragt, wohin das Video gespeichert werden sollte.

Screenshot iPhone: Dialog mit dem Titel "Bildschirmaufnahme" und unten ein Button mit Mikrofon "Mikrofon ein".

Zusätzliches Equipment nötig: Screen-Sharing über HDMI-Aufnahmegerät

Für die perfekte Lösung hat sich unser Tester mit zusätzlichem Equipment ausgestattet und dafür etwa 150 Euro bezahlt (HDMI-Aufnahmegerät (Capture Device) / herkömmliches HDMI-Kabel / HDMI-Adapter für iOS). Das lohnte sich bei ihm, da er regelmäßig solche Online-App-Tests oder -Demos durchführt. Selbstverständlich ist das keine Ausstattung, die jedermann zuhause hat. Daher nur kurz: Auf dem Rechner sorgte das Windows Programm „USB Camera Viewer“ dafür, dass das Bild störungsfrei aus dem HDMI-Aufnahmegerät in die Zoom-Konferenz übertragen wurde, inklusive Sprachausgabe von VoiceOver und Systemtönen. Dazu musste unser Tester in Zoom (Desktop) bei „Bildschirm teilen“ die Option „USB Camera Viewer“ und die Checkbox (unten) „Ton teilen“ auswählen.

Android: Online testen mit verschiedenen Android-Mobiltelefonen

Wir haben in Zoom verschiedene Szenarien mit unseren Android-Testgeräten (Samsung Galaxy S10+, Pixel 3 und 4) und einem Windows-Laptop erprobt. Eine Möglichkeit, wie unter iOS über AirPlay oder eine Kabelverbindung Android-Mobiltelefone in einer Zoom-Konferenz zu teilen, gab es nicht. Folgende Erkenntnisse können wir zusammenfassen:

Probable Hilfslösung: Über die Android-Zoom-App ins Meeting

Hierfür hatte sich unser Tester über die Zoom-App auf seinem Android-Mobiltelefon (Samsung Galaxy S10+) direkt in die Online-Konferenz eingewählt, war dann ohne Video beigetreten, hatte sich stummgeschalten und seinen Bildschirm geteilt (PopUp mit Optionen: Screen). So wurde sein Mobiltelefon-Bildschirm ohne Ton übertragen. Die Audioübertragung des Screenreaders TalkBack erfolgte dann über das Mikrofon seines Headsets. Bei dieser Hilfslösung waren er und die Audioausgabe von TalkBack gut hörbar.

Screenshot einer Zoom-Konferenz mit übertragenem Bildschirm eines Mobiltelefons und kleinen Fotos der Teilnehmenden.

Zusätzliches Equipment nötig: Screen-Sharing über HDMI-Aufnahmegerät

Wie bereits im iOS-Kapitel erwähnt, gibt es auch eine „Expert:innen“-Variante über eine komplexe HDMI-Verbindung (nötig sind: HDMI-Aufnahmegerät (Capture Device), HDMI-Kabel, HDMI-Adapter für Android). Aus unerklärlichen Gründen funktionierte diese Variante nicht mit den Android-Geräten Pixel3 und Pixel4, jedoch mit dem Samsung Galaxy S10+. Auf dem Rechner sorgte wiederum das Windows Programm „USB Camera Viewer“ dafür, dass das Bild aus dem HDMI-Aufnahmegerät in Zoom übertragen wurde. Teilte unser Tester in Zoom (Desktop) den Bildschirm, wurde ihm die Option „USB Camera Viewer“ angeboten. Diese hat er ausgewählt und gleichzeitig den Ton übertragen (Checkbox unten: Ton teilen). Nun wurde im App-Test sowohl der geteilte Screen des Mobiltelefons, als auch die Audios von Systemsound, TalkBack und der Stimme der Testperson übertragen.

Testsituation: Laptop mit angeschlossenem Mobiltelefon, im Hintergrund das HDMI-Aufnahmegerät und einige Kabel.

Fazit

Auf Online-App-Tests mit blinden Testpersonen muss man nicht verzichten. Ganz im Gegenteil: Sie können für Erkenntnisse sorgen, die eine effiziente und effektive Nutzung per Screenreader unterstützen. Bindet man Nutzende ein, die nur selten solche Tests durchführen, eignet sich die „probable Hilfslösung“. Nutzende, die regelmäßig in Online-Konferenzen Tests oder Demonstrationen mit ihrem Mobiltelefon durchführen wollen, können über die Beschaffung zusätzlichen Equipments für eine perfekte Übertragung von Bild und Ton sorgen.