Remote-Usability-Tests: Vorteile und technisches Wissen zur Einbindung von Hilfsmittelnutzenden in Online-Formate

Letzte Änderung: 03/2023

Bei einem Remote- oder Online-Usability-Test wählt sich die Testperson über ihren Desktop-Computer oder ihr mobiles Endgerät in ein Online-Konferenzsystem (z. B. Zoom) ein und trifft sich dort mit dem beteiligten UX-Team. Sobald die Testperson die Bildschirmübertragung freigibt, kann die Durchführung der Testaufgaben online beobachtet werden.

Bitte beachten Sie: Online-Konferenzsysteme können mehr oder weniger barrierefrei nutzbar sein. Die Zugänglichkeit des eingesetzten Systems muss geklärt werden. Entweder man bringt im Vorfeld in Erfahrung, welche Systeme von Menschen mit Behinderungen häufig genutzt bzw. präferiert werden, oder man stellt Rückfragen bei Herstellern.

Remote-Tests bieten Vorteile

Online- bzw. Remote-Formate bieten für die Einbindung von Probanden und Probandinnen mit (und ohne) Behinderungen Vorteile:

  • Die Rekrutierung ist einfacher, wenn ortsunabhängig gesucht werden kann, vor allem, wenn die Testgruppe spezifische Merkmale erfüllen soll.
  • Die örtliche Unabhängigkeit bedeutet weniger Reise- und damit weniger Zeitaufwand für die eingebundene Testperson (auch für Sie als Testleitung und Ihr Team).
  • Da das Testen an eigenen Geräten für Menschen, die assistive Technologien nutzen, sowieso geboten ist, ist die Online-Zusammenarbeit in der Regel die unkomplizierteste Lösung.
  • Außerdem kann das Testen an einem vertrauten Ort (zuhause, im Büro, an der Uni usw.) für eine entspannte Testsituation sorgen.
  • Alle Beteiligten haben „gute Sicht“ auf den Testgegenstand.
  • Die Teilnahme von stillen Beobachtenden ist weniger störend als bei Vor-Ort-Tests. Neben der Testperson, der Testleitung und der dokumentierenden Person können sich in der Regel recht problemlos weitere stille Beobachtende zuschalten. Um die Testperson nicht abzulenken, ist es sinnvoll, wenn diese sich zu Beginn des Tests kurz vorstellen und dann Bild und Ton abschalten.

Es gibt auch Einschränkungen:

  • Remote-Tests ermöglichen nicht den „vollen“ Blick auf die Nutzungsweise, z. B. Was machen die Hände, etwa auf der Tastatur oder einem Hilfsmittel?
  • Blinde Probandinnen und Probanden nutzen oft keine Kamera, sodass ihre Mimik nicht in die Auswertung einbezogen werden kann.
  • Für Online-Usability-Tests sollte die teilnehmende Testperson eine gewisse technische Kompetenz mitbringen. Erläuternde Schritt-für-Schritt-Hilfestellungen durch die Moderation, etwa zur Freigabe des Bildschirms, sind dringend empfohlen.
  • Wie einleitend erwähnt, sind Online-Formate für Menschen mit kognitiven Einschränkungen schwieriger. Um diese Zielgruppe einzubinden, empfehlen sich Vor-Ort-Tests, am besten in Kooperation mit kompetenten Partnern wie der Selbsthilfe oder Werkstätten für behinderte Menschen.

Der Einsatz von assistiver Technologie bei Remote-Usability-Tests

Will man Menschen mit Behinderung, die assistive Technologien nutzen, in Remote-Tests einbinden, sollte man bestimmte technische Umstände kennen:

Remote-Usability-Tests von Websites (Desktop)

Hier wählt sich die Testperson am Desktop-Computer in das Konferenzsystem ein und startet dann die Bildschirmübertragung (mit Ton). Die Testperson öffnet im Browser die Website.

Wie gut wird die Nutzungsweise mit dem entsprechenden Hilfsmittel übertragen?

  • Screenreader (JAWS, NVDA): Die Nutzungsweise mit dem Hilfsmittel ist bei geteiltem Bildschirm gut wahrnehmbar. Wichtig, um die Sprachausgabe des Screenreaders zu hören, ist die Freigabe des Tons im Rahmen der Bildschirmübertragung.
  • Vergrößerungssoftware (ZoomText): Die Nutzungsweise mit dem Hilfsmittel ist bei geteiltem Bildschirm nicht wahrnehmbar, nur bei Nutzung der Windows Bildschirmlupe wird die Vergrößerung bei geteiltem Bildschirm übertragen. Auch die Vergrößerung über die MacOS-Bedienungshilfen wird nicht sichtbar.
  • Spracherkennungssoftware (Dragon NaturallySpeaking): Die Nutzungsweise mit dem Hilfsmittel ist bei geteiltem Bildschirm gut wahrnehmbar.

Ausführliche Informationen unter Tipps für Online-Tests mit Menschen mit Behinderungen.

Remote-Usability-Tests von nativen Apps (mobil)

Hier wählt sich die Testperson zusätzlich mit dem Mobiltelefon in das Konferenzsystem ein, startet dort die Bildschirmübertragung und öffnet die App.

Wie gut wird die Nutzungsweise unter den entsprechenden Bedienungshilfen übertragen?

  • Screenreader (VoiceOver / TalkBack): Es gibt eine Hilfslösung und eine perfekte Lösung, die jedoch mit zusätzlicher technischer Ausstattung verbunden ist. Bei beiden Lösungen kann man die Nutzungsweise unter mobilen Screenreadern wahrnehmen. Bei der „Hilfslösung“ tritt die Testperson sowohl über den Desktop-Computer (mit freigegebenem Audio) als auch über das Mobiltelefon (ohne das Audio freizugeben) der Online-Konferenz bei. Der Bildschirm wird über das Mobiltelefon freigegeben. So wird die Ansicht des Mobiltelefons in der Bildschirmübertragung sichtbar, der Ton des mobilen Screenreaders und die Rückmeldungen der Testperson sind jedoch "nur" über das Headset-Mikrofon zu hören. Ausführliche Informationen zu verschiedenen technischen Methoden unter Remote-App-Tests mit Screenreader-Nutzenden.
  • Vergrößerung des gesamten Displays oder eines Ausschnitts (Art Lupenfunktion): Der Zoom in iOS ist bei geteiltem Bildschirm nicht wahrnehmbar (Test mit iPhone 13) , die Vergrößerung in Android hingegen schon (Test mit Google Pixel 4). Wir empfehlen, die Übertragung im eingesetzten Mobiltelefon vorab zu prüfen oder auf Präsenztests zu setzen.
  • Spracherkennung (iOS: Voice Control, Android: Voice Access): Die technische Machbarkeit von Usability-Tests mit Proband*innen, die mobil die integrierte Sprachsteuerung der Betriebssysteme nutzen, sollte Inhalt zukünftiger Forschung sein.