Usability und Accessibility

Letzte Änderung: 03/2023

Usability

Die internationale Norm ISO 9241 - Ergonomics of human-system interaction (englischsprachig) definiert Usability (Nutzerfreundlichkeit) als die "Effektivität, Effizienz und Zufriedenheit, mit der bestimmte Nutzende bestimmte Ziele in bestimmten Nutzungskontexten erreichen". Effektiv bedeutet: genau, zielgerichtet und fehlerfrei. Effizient bedeutet: die Aufgabe möglichst schnell durchführen zu können. Zufriedenheit beschreibt den Grad des Komforts und der Akzeptanz aus Sicht der Nutzenden. Usability kann man als einen Faktor im größeren Kontext der User Experience (Nutzererlebnis) betrachten.

Usability-Tests

Usability-Tests finden in der Regel während oder zum Ende der Entwicklung eines digitalen Angebots statt. In einem Usability-Test bittet die Testleitung eine ausgewählte Testperson, in einem Webangebot oder einer App alltagstypische Aufgaben auszuführen (etwa einen Registrierungsprozess durchlaufen) und beobachtet dabei ihr Verhalten. Die Testperson wird aufgefordert, ihr Vorgehen und ihre Gedanken und Emotionen zu verbalisieren. Die Testleitung und gegebenenfalls weitere beobachtende Personen beobachten und dokumentieren die Vorgehensweise der Testperson, ihre Äußerungen und das Erleben der Nutzererfahrung. Diese Beobachtungen werden mit der Fragestellung und den Annahmen hinsichtlich eines bestimmten Vorgehens abgeglichen.

Ziel von Usability-Tests ist es, Schwachstellen eines digitalen Produkts in Bezug auf die individuelle Nutzungsweise und hinsichtlich der drei definierten Usability-Merkmale Effektivität, Effizienz und Zufriedenheit zu ermitteln.

Bei den eingebundenen Probandinnen und Probanden handelt es sich um "echte“ Nutzende mit Behinderungen, also Menschen ohne Accessibility-Expertise.

Accessibility

Accessibility (Barrierefreiheit) bedeutet, dass eine Website oder App für so viele Menschen wie möglich nutzbar ist. Laut Web Accessibility Initiative (WAI) des W3C bedeutet Accessibility: "People can perceive, understand, navigate, and interact with the Web." Traditionell denken wir bei digitaler Barrierefreiheit an Menschen mit Behinderungen, aber sie kommt auch anderen Gruppen zugute, z. B. Menschen, die schlechte Lichtverhältnisse vorfinden, Mobilgeräte nutzen oder zeitweilig, zum Beispiel krankheitsbedingt, eingeschränkt sind.

Der internationale Standard, die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG), bzw. die entsprechende Europäische Norm (EN) 301 549 definieren Anforderungen an Accessibility. Bei der Entwicklung der Standards werden die Bedarfe von unterschiedlichen Nutzergruppen berücksichtigt und in testbare Anforderungen formuliert. Sie fokussieren vor allem auf technische Zugänglichkeit und formulieren Anforderungen an das Design, beinhalten aber auch vereinzelte Usability-Aspekte.

International und auch in Deutschland beziehen sich Gesetzgebungen auf die WCAG oder EN 301 549, indem sie zu Konformität mit den Anforderungen der Standards verpflichten.

Accessibility-Tests (Konformitätstests)

Ein standardorientierter Accessibility-Test prüft in einer strukturierten Weise, ob die Barrierefreiheit eines Webangebots gemäß WCAG oder EN 301 549 gegeben ist, und ob das Webangebot damit grundsätzlich für Menschen mit Behinderungen zugänglich ist.

Konformitätstests werden eingesetzt, um den Grad der Barrierefreiheit zu ermitteln, Mängel entsprechend der Standardanforderungen strukturiert zu identifizieren und im Anschluss beheben zu können. Konformitätstests dienen auch als Absicherung und Nachweis, gesetzliche Anforderungen erfüllt zu haben.

Unter bestimmten Umständen und wenn es nicht um eine volle Standardkonformität geht, etwa beim Einkauf von Software, kann es sinnvoll sein, Barrierefreiheitskriterien "Use Case"-bezogen zu testen und / oder ein Subset der Barrierefreiheitskriterien zu prüfen.

Accessibility-Tests werden von Test-Expertinnen und -Experten durchgeführt, da tiefergehende Fachkenntnis (Accessibility-Expertise) benötigt wird.

Usability und Accessibility – Überschneidungen und Unterschiede

Barrierefreiheit richtet sich in erster Linie an Menschen mit Behinderungen und ist die Voraussetzung für Zugänglichkeit für diese Nutzergruppe.

Viele Aspekte der Barrierefreiheit wirken sich jedoch auch positiv auf die Usability aller Nutzenden aus. Zum Beispiel nutzen nicht nur Menschen mit Höreinschränkungen Untertitel. Auch Nutzende, die sich in einer lauten Umgebung befinden und den Ton dadurch schwerer wahrnehmen können, profitieren davon.

Gleichwohl kann es sein, dass Barrierefreiheitsanforderungen zwar erfüllt sind, aber sich aufgrund der Art der Umsetzung Schwächen hinsichtlich der Usability für Nutzende mit Hilfsmitteln zeigen.

Beispielsweise kann ein Alternativtext, der eine Länge von 150 Zeichen überschreitet, grundsätzlich für Zugänglichkeit bei nicht-visueller Nutzung sorgen, ist aber nicht sehr nutzerfreundlich, weil der Alternativtext nicht wie normaler Text von Nutzenden erkundet werden kann. Nutzende können ihn nur in ganzer Länge hören oder sie müssen die Ausgabe abbrechen. Ein anderes Beispiel wäre eine grundsätzlich gegebene Tastaturbedienbarkeit, die aber unnötig viele Tab-Stationen für Nutzende, die auf Tastaturbedienung angewiesen sind, aufweist.

Das Thema Usability betrifft grundsätzlich alle Nutzenden, Menschen mit und ohne Behinderungen.

Unsere Empfehlungen zum Testen von Usability und Accessibility

Berücksichtigen Sie bei der Umsetzung beide Aspekte

Die Orientierung an den Accessibility-Standards bildet eine wichtige Grundlage der Nutzbarkeit, garantiert allein jedoch nicht, dass ein digitales Produkt von Menschen mit Behinderungen effektiv, effizient und zufriedenstellend, also komfortabel genutzt werden kann.

Usability-Tests mit Probanden mit Behinderungen sind daher empfehlenswert und werden auch bei der Weiterentwicklung des internationalen Standards Web Content Accessibility Guidelines erwogen (siehe: Vorteile).

Usability-Tests eignen sich nicht zur Prüfung grundständiger Barrierefreiheit

Aus unserer Erfahrung sind Usability-Tests mit Menschen mit Behinderungen nicht vorteilhaft, um Barrierefreiheit grundständig zu testen. Insbesondere, wenn diese bei der Entwicklung der Website oder App noch überhaupt keine Rolle gespielt hat. Warum?

  • Die Barrierefreiheitsstandards decken eine ganze Bandbreite von Anforderungen ab, die Menschen mit ganz unterschiedlichen Behinderungen in unterschiedlichen Nutzungssituationen (z. B. mobil oder Desktop usw.) adressieren. Dieser Fülle von Anforderungen kann ein Test mit Nutzenden nicht in gleicher Weise begegnen.
  • Um die Konformität mit Barrierefreiheitsstandards zu überprüfen, sind Experten-Tests wirtschaftlich sinnvoller.
  • Barrieren werden möglicherweise von Testpersonen nicht kommuniziert, etwa wenn sie in ihrer individuellen Nutzungsweise Wege findet, um Barrieren zu umgehen.

Barrierefreiheit ist Voraussetzung für Usability-Tests mit Hilfsmittel-Nutzenden

Ein weitgehend barrierefreier Testgegenstand ist die Voraussetzung dafür, dass Sie sich bei Einbindung von Testpersonen mit assistiver Technologie (wie Screenreader, Vergrößerungssoftware usw.) auf Fragen der Usability konzentrieren können.

Fragen, die auf die Effektivität, Effizienz und Zufriedenheit abzielen, können erst geklärt werden, wenn das Webangebot bzw. die App für diese Nutzenden überhaupt zugänglich ist. Können Nutzende mit einer assistiven Technologie beispielsweise einen Menü-Schalter nicht bedienen, kann auch nicht erforscht werden, wie schnell die Person einen Inhalt findet.

In frühen Phasen steht das Produkt oft nur als Prototyp (umgesetzt mit einer Prototyping-Software) zur Verfügung. Bei diesen Produkten ist die technische Zugänglichkeit für Hilfsmittelnutzende nicht gegeben (und kann unserer Kenntnis nach auch in den Tools nicht ausreichend hergestellt werden). Um mit Hilfsmittelnutzenden zu testen, ist eine wenigstens grundlegend barrierefreie HTML-Version nötig.

Einbindung von Menschen mit Behinderung in frühen Phasen der Produktentwicklung

Neben Usability-Tests mit behinderten Probandinnen und Probanden können weitere UX-Formate in Betracht kommen, etwa frühe Formate der Nutzerforschung wie Interviews, Online-Befragungen, Fokusgruppen usw. Da hier keine praktischen Tests stattfinden, ist die Einbindung von Nutzenden mit Behinderungen bereits möglich und sinnvoll. Die Bedarfe und Wünsche von Menschen mit Behinderungen können auf diese Weise zu einem frühen Zeitpunkt in die Konzeption einfließen.

Tipps zur Einbindung von Menschen mit Behinderung in Formate der Nutzerforschung finden Sie in unseren Praxisbeispielen: